Die Nichtentscheidungen des Bundesgerichtshofs zum Versicherungsrecht

Gegenstand der Frühjahrsfachtagung der Arbeitsgemeinschaft Versicherungsrecht des Deutschen Anwaltvereins, an der auch Vertreter des IV. Zivilsenats beim Bundesgerichtshof als Gäste teilgenommen haben, war u.a. das Phänomen der sog. „Nichtentscheidungen“, wie in der Juliausgabe der Fachzeitschrift Spektrum für Versicherungsrecht (SpV) berichtet wurde.

Aus Sicht der Vertreter des für Versicherungsfragen zuständigen IV. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (BGH) besteht eine Tendenz der Versicherer, Grundsatzfragen des Versicherungsrechts gar nicht mehr höchstrichterlich entscheiden zu lassen, wenn Sie zu einem für den jeweiligen Versicherer oder gar für die gesamte Branche ungünstigen Ergebnis führen könnten. Die Versicherungsgesellschaften machen zunehmend von den Ihnen durch die ZPO gegebenen Möglichkeiten Gebrauch. Immer dann, wenn eine Niederlage vor dem höchsten Zivilgericht droht, reagieren die Versicherer immer häufiger mit Anerkenntnis oder Klaglosstellung im letzten Moment vor der Urteilsverkündung.

Zu den Aufgaben des BGH gehört es vor allem im Rahmen der Urteilsbegründungen, grundsätzliche Fragen des Versicherungsrechts einer Klärung zuzuführen, um über die Entscheidungsveröffentlichungen in der Fachliteratur Rechtsanwendungsgleichheit bei den Instanzgerichten herzustellen. Durch die Praxis der Versicherer werde der Senat aus Sicht der Richter aber immer häufiger daran gehindert, derartige weittragenden Entscheidungen, die als Richtschnur für die Instanzgerichte dienen können, überhaupt zu fällen. Damit sieht sich der Senat zunehmend seiner Funktion beraubt. Die Praxis der Versicherer führt dazu, dass rechtsgrundsätzliche Fragen, in denen es um die Rechte der Versicherten geht, offen bleiben. Der oder die Versicherer können dann in Parallelfällen weiter mit der für sie günstigen gegenteiligen Rechtsauffassung argumentieren und darauf verweisen, dass die jeweilige Rechtsfrage schließlich noch gar nicht grundsätzlich entschieden sei. Auch kann man sich so in Parallelfällen weiter auf vielleicht günstige Instanzgerichtsentscheidungen berufen, die vom BGH als höchstes Zivilgericht aufgehoben und anders entschieden worden wären, wenn er denn die Chance dazu gehabt hätte. Für Betroffene in Parallelfällen erhöht dies natürlich das Prozessrisiko, da man scheinbar immer vor dem Problem steht, der Versicherer würde es im konkreten Rechtsstreit darauf ankommen lassen und durch alle Instanzen jahrelang streiten.

Die Praxis der Versicherer ist allerdings zulässig. Sie steht im Einklang mit den gesetzlichen Handlungsmöglichkeiten nach der Zivilprozessordnung.

Auf der Fachtagung wurde diskutiert, welchen Beitrag die Anwaltschaft gegen diese Praxis erbringen kann. Sicher sind die Anwälte aufgerufen, Ihre Mandanten zu ermutigen, vor dem Weg durch die Instanzen bis zum BGH nicht zurückzuschrecken. Allerdings sind auch dabei die Möglichkeiten beschränkt, da die ZPO z.B. die Rücknahme von Rechtsmitteln auch noch während der Revisionsverhandlung bis nach Einführung in den Sach- und Streitsstand erlaubt und ein Anerkenntnis sogar noch später abgegeben werden kann.

Die Vertreter des Versicherungssenats beim BGH werden sich wohl neue Kommunikationswege erschließen müssen, um auch in Zukunft „Segelanweisungen“ für die Praxis der Instanzgerichte geben zu können. Dabei wird man wohl künftig mehr in Pressemitteilungen zu aktuellen Verfahren informieren oder z.B. in der Fachliteratur zu versicherungsrechtlichen Fragen eindeutig Position beziehen müssen.

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