Haftung des Erwerbers bei Neueröffnung vor endgültiger Betriebstillegung des Altbetriebes
Kommt es nach faktischer Betriebstillegung aber noch vor Ablauf der Kündigungsfristen der Arbeitnehmer zu einem Betriebsübergang, so tritt der Betriebserwerber in die Rechte und Pflichten aus den bei Betriebsübergang noch bestehenden Arbeitsverhältnissen für deren Restlaufzeit ein. (BAG, vgl. Urteil vom 22.10.2009 – 8 AZR 766/08)
Zum Fall
Ein Arbeitgeber (Beklagter) war von der Bundesagentur für Arbeit (Klägerin) auf Erstattung von Arbeitslosengeld in Regress genommen worden, dass die Klägerin an die gekündigten Arbeitnehmer seines Vormieters bezahlt hatte.
Der Beklagte öffnete Anfang September 2005 in gemieteten Räumen eine Metzgerei mit Partyservice. Der Vormieter hatte dort ebenfalls lange Jahre eine Metzgerei mit Partyservice betrieben. Er hatte allerdings Mitte Juli 2005 Insolvenz anmelden müssen. Das Insolvenzverfahren war Ende Juli eröffnet worden. Der Insolvenzverwalter stellte den Betrieb ein, kündigte allen Mitarbeitern und schickte sie sofort nach Hause. Die Mitarbeiter hatten teilweise sehr lange Kündigungsfristen bis Ende Oktober bzw. bis Ende November und bekamen nach Meldung beim Arbeitsamt von dort Arbeitslosengeld, § 143 III SGB III (sog. Gleichwohlgewährung). Der Beklagte übernahm mit Eröffnung seines Geschäftes 7 der vormals 11 Mitarbeiter des insolventen Vormieters.
Die klagende Bundesagentur für Arbeit war der Meinung, damit liege ein Betriebsübergang nach § 613a BGB vor. Hierfür sei nämlich nicht der Kauf des Unternehmens als solches erforderlich, sondern es genüge die (auch mietweise) Übernahme wesentlicher Betriebsmittel und Bestandteile und die Weiterführung eines im Wesentlichen gleichartigen Betriebs, wenn vielleicht auch unter neuer Leitung und mit neuem Namen. Der Beklagte sei damit als Betriebserwerber in alle arbeitsrechtlichen Rechte und Pflichten des vormaligen Betriebsinhabers eingetreten und er habe kraft Gesetz automatisch auch alle noch bestehenden Arbeitsverhältnisse übernommen. Als neuer Arbeitgeber aller gekündigten Mitarbeiter hafte er auch für rückständige Löhne sowie für die Lohnzahlung bis zum Ende der Kündigungsfrist und zwar unabhängig davon, ob die gekündigten Arbeitnehmer für Ihn gearbeitet haben oder nicht. Die Arbeitsagentur sei mit der ALG-Zahlung an die Arbeitnehmer nur in Vorlage gegangen und fordere nunmehr den rückständigen Lohn der Arbeitnehmer in gleicher Höhe im Regresswege aus übergegangenem Recht. Der Beklagte verteidigte sich damit, er habe keinen laufenden Betrieb übernommen. Der Betrieb des insolventen Vorgängers sei längst eingestellt und stillgelegt gewesen als er in den Räumen sein Geschäft neu eröffnet habe. Betriebsstillegung und Betriebsübergang schließen einander aus und ein stillgelegter Betrieb kann nicht mehr übernommen werden.
Das Arbeitsgericht hatte in I. Instanz die Klage abgewiesen. Vor dem LAG bekam die Bundesagentur für Arbeit Recht. Die Revision des Beklagten blieb erfolglos.
Die Entscheidung
Das BAG bestätigte zwar die Auffassung des Beklagten, dass Betriebsstilllegung und Betriebsübergang einander ausschließen. Allerdings ist unter der Betriebsstilllegung arbeitsrechtlich die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zu verstehen. Abgeschlossen ist die Stilllegung damit erst, wenn die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer beendet sind. Kommt es nach der faktischen Einstellung des Betriebs aber vor Ablauf der Kündigungsfristen zu einem Betriebsübergang, tritt der Betriebserwerber gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB in die Rechte und Pflichten aus den noch bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Dies gilt auch bei einem Betriebsübergang in der Insolvenz. Für die Frage, ob dann tatsächlich ein Betriebsübergang nach einer insolvenzbedingten Betriebsunterbrechung vorliegt, gelten die allgemeinen Kriterien, wonach eben bereits die Übernahme der wesentlichen Betriebsmittel und die Weiterführung eines im Kern gleichartigen Betriebs für das Vorliegen eines Betriebsübergangs genügt.
Anmerkung
Die Entscheidung zeigt, wie schnell eine vermeintlich preiswerte Betriebseröffnung mit dem günstig erworbenem Inventar und der fähigen Kernbelegschaft des insolventen Berufskollegen zu einem teuren Abenteuer werden kann. Neben den Regressforderungen der Bundesagentur für Arbeit kann es leicht zur Haftung für offene Altlöhne der früheren Belegschaft kommen und nicht auszuschließen, klagt sich der Rest der früheren Belegschaft auch wieder ein.