Brillenversorgung – Zur (Un-)zulässigkeit der Zusammenarbeit zwischen Augenarzt und Optiker
Allein der Patientenwunsch, sämtliche medizinische Leistungen möglichst aus einer Hand zu erhalten, erlaubt es dem Augenarzt nicht, Verweisungen an einen bestimmten Optiker als Kooperationspartner auszustellen und ständig die von diesem Optiker nach den Vorgaben des Augenarztes gefertigten Brillen an die Patienten in der Praxis abzugeben. Vgl. Urteil vom 9. Juli 2009 – I ZR 13/07
Der Fall
Der beklagte Augenarzt aus der Region um Hannover bietet Patienten an, sich in seiner Praxis unter ca. 60 Musterbrillenfassungen eines Optikers mit Sitz im Großraum Düsseldorf eine Fassung auszusuchen. Der Beklagte übermittelt dann seine Messergebnisse und die Brillenverordnung dem Optiker, der die fertige Brille entweder direkt an den Patienten oder auf dessen Wunsch in die Praxis des Beklagten liefert. Dort wird der Sitz der Brille kontrolliert und ggf. korrigiert. Die auf Unterlassung klagende Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs meint, damit verstoße der Augenarzt gegen das Verbot der gewerblichen Warenabgabe in der Praxis und gegen das Verbot der konkreten Verweisung nach § 3 Abs. 2 und § 34 Abs. 5 der ärztlichen Berufsordnung (BOÄ). Der Beklagte hat sich verteidigt, er biete die Brillenvermittlung nur in Ausnahmefällen alten, gehbehinderten oder solchen Patienten an, die an bestimmten Erkrankungen litten oder schlechte Erfahrungen mit ortsansässigen Optikern gemacht hätten. Das LG hatte der Unterlassungsklage stattgegeben. Das OLG hatte die Klage in der Berufungsinstanz abgewiesen.
Die Entscheidung
Auf die Revision der Klägerin hob der auch für Wettbewerbssachen zuständige I. Senat des BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zurück an das OLG. § 3 Abs. 2 und § 34 Abs. 5 der Berufsordnung für Ärzte sind Marktverhaltensregelungen, deren Verletzung auch wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche begründen kann. Die Klägerin kann dem Beklagten – was das Berufungsgericht aus Sicht des BGH zutreffend festgestellt hat – nicht allgemein verbieten, Patienten an einen bestimmten Optiker zu verweisen oder von diesem angefertigte Brillen in seiner Praxis anzupassen und abzugeben. Denn § 34 Abs. 5 BOÄ gestattet dem Arzt die konkrete Verweisung, wenn dafür ein hinreichender Grund besteht. Dieser Grund muss nicht notwendig medizinischer Natur sein. Nach § 3 Abs. 2 BOÄ ist auch die Anpassung und Abgabe einer Brille durch einen Augenarzt zulässig, wenn sie notwendiger Bestandteil der ärztlichen Therapie ist.
Allerdings halten die Feststellungen des Berufungsgerichtes zum Vorliegen von Ausnahmegründen einer Prüfung durch den BGH nicht stand.
Das Berufungsgericht hatte angenommen, ein hinreichender Ausnahmegrund für die Verweisung eines Patienten an einen weit entfernten Optiker liege schon darin begründet, dass der gewählte Optiker die Vorgaben des Arztes immer beachte. Dies sei bei anderen beliebigen Optikern nicht gewährleistet, da Optiker die Sehschärfe selbst bestimmen dürfen, um dann ggf. Brillen abweichend von der Brillenverordnung zu fertigen. Der BGH ist dem nicht gefolgt. Nach dieser Gesetzesauslegung könnten Augenärzte aber Patienten praktisch immer an bestimmte Optiker verweisen. Der Augenarzt kann nach Meinung des BGH auch auf andere Weise verhindern, dass der Optiker Brillengläser herstellt, die nicht von der ärztlichen Verordnung abweichen. Ob im Fall tatsächlich immer anerkennenswerte Gründe für alle konkreten Verweisungen vorlagen ( wie z.B. schlechte Erfahrungen des Arztes mit allen mit ortsansässigen Anbietern oder die verkürzter Versorgungsweg für z.B. gehbehinderte Patienten etc.) wird in einer Neuverhandlung aufzuklären sein.
Die Klägerin hatte weiter geltend gemacht, dass auch die vom Beklagten vorgelegten Erklärungen seiner Patienten keine ausreichenden Gründe für eine Verweisung an einen bestimmten Optiker erkennen ließen. Die meisten Patienten fanden es lediglich bequemer, alle Leistungen „aus einer Hand“ zu erhalten. Soweit sich einzelne Patienten auf schlechte Erfahrungen mit örtlichen Optikern beriefen, werde nicht deutlich, weshalb nicht die Dienste anderer örtlicher Optiker in Anspruch genommen werden konnten. Im Großraum Hannover gebe es sicher viele qualifizierte Optiker.
Der BGH konnte auf der Grundlage der Feststellungen des OLG nicht davon ausgehen, dass der Beklagte tatsächlich immer nur dann Brillen abgegeben und angepasst hat, wenn dies notwendiger Bestandteil seiner ärztlichen Therapie i. S. von § 3 Abs. 2 BOÄ war. Allein der Wunsch der Patienten nach „Leistungen aus einer Hand“ oder deren „Bequemlichkeit“ macht die Anpassung und Abgabe der Brillen in der Augenarztpraxis noch nicht zum Bestandteil der ärztlichen Therapie. Da das Berufungsgericht zu diesem Parteivorbringen noch keine Feststellungen getroffen hat, wurde die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Anmerkung
Bestimmte mehr oder weniger moderne Kooperationsformen sind nach wie vor mit dem Berufsrecht der Heilberufe nicht vereinbar. Fachübergreifende „Rundum-Sorglos-Pakete“, wie in anderen Wirtschaftsbereichen längst üblich und von Patienten zunehmend auch im Bereich der Gesundheitsdienstleistungen wie selbstverständlich erwartet, lassen sich im Bereich der ärztlichen Dienstleistungen nicht ohne Weiteres anbieten. Hier besteht ggf. Normüberarbeitungsbedarf. Die maßgeblichen Verbotsvorschriften lauten:
§ 3 Abs. 2 BOÄ der Ärztekammer Niedersachen
Dem Arzt ist untersagt, im Zusammenhang mit der Ausübung seiner ärztlichen Tätigkeit Waren und andere Gegenstände abzugeben oder unter seiner Mitwirkung abgeben zu lassen sowie gewerbliche Dienstleistungen zu erbringen oder erbringen zu lassen, soweit nicht die Abgabe des Produkts oder die Dienstleistung wegen ihrer Besonderheiten notwendiger Bestandteil der ärztlichen Therapie sind.
§ 34 Abs. 5 BOÄ der Ärztekammer Niedersachsen
Dem Arzt ist nicht gestattet, Patienten ohne hinreichenden Grund an bestimmte Apotheken, Geschäfte oder Anbieter von gesundheitlichen Leistungen zu verweisen.
Ähnliche Regelungen gibt es auch in den anderen Bundesländern z.B. in Sachsen (vgl. § 3 II und § 34 V der Berufsordnung der Sächsischen Landesärztekammer).