Hohe Blutalkoholkonzentration allein rechtfertigt keine Verurteilung wegen vorsätzlicher Trunkenheitsfahrt
In einer neueren Entscheidung hat das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg festgestellt, dass allein der Nachweis einer sehr hohen Blutalkoholmenge keine Verurteilung wegen vorsätzlicher Trunkenheitsfahrt rechtfertigt. Im Fall war der Angeklagte mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,37 Promille als Fahrzeugführer gestoppt worden. Ob er keine Angaben zur Sache machen konnte oder wollte ist nicht bekannt. Konkrete Feststellungen zum Trinkverhalten wurden im Urteil jedenfalls nicht getroffen. Das LG verurteilte den Angeklagten dennoch wegen einer vorsätzlichen Trunkenheitsfahrt und begründete dies im Kern wie folgt: Eine derart hohe Blutalkoholkonzentration könne man nur erreichen, wenn innerhalb einer Stunde mindestens 4,1 Liter Bier, 2,1 Liter Wein oder 0,5 Liter Schnaps getrunken würde. Jedem Erwachsenen sei bekannt, welche Wirkung eine solche Alkoholeinnahme auf die Fahrtüchtigkeit habe. Das LG schlussfolgerte daraus, dass der Angeklagte seine Fahruntüchtigkeit bei Fahrtantritt zumindest billigend in Kauf genommen habe, also vorsätzlich handelte.
Das OLG musste das LG nun daran erinnern, dass es eben keinen allgemeinen Erfahrungssatz gibt, wonach derjenige der viel getrunken hat, seine Fahruntüchtigkeit ab einer bestimmten Grenze sicher erkennt. Vielmehr ist wissenschaftlich erwiesen und in der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch anerkannt, dass mit steigender Alkoholisierung nicht nur die Fahrtüchtigkeit sondern leider auch die Erkenntnis-, Kritik- und Urteilsfähigkeit rapide abnehmen. Damit besteht mit zunehmender Alkoholisierung eben auch die Möglichkeit, dass der Betrunkene gar nicht mehr in der Lage ist, seine eigene Fahruntauglichkeit zu erkennen oder sich zu merken. Nicht nachweisbare Kenntnis der Fahruntauglichkeit führt dazu, dass ein Vorsatz nicht nachweisbar ist und nur Fahrlässigkeit bleibt. Für eine Vorsatzverurteilung bedarf es deshalb zusätzlicher Feststellungen, die einen sicheren Schluss zulassen, dass der Angeklagte seine Fahruntüchtigkeit eben doch erkannt hatte zumindest billigend in Kauf nahm.
Diese an sich in der Justiz bekannte Mehrfachwirkung des Alkohols hält Staatsanwaltschaften in der Praxis leider nicht davon ab, ab bestimmten Blutalkoholkonzentrationen (meist ab 1,6 Promille) Beschuldigte auch ohne zusätzliche Anhaltspunkte generell wegen vorsätzlicher Trunkenheitsfahrt anzuklagen. Und die Untergerichte lassen sich leider auch nicht davon abhalten, den Anträgen der Staatsanwaltschaft mit ähnlichen Begründungen, wie oben im Beispiel des LG aufgezeigt, ebenso regelmäßig wie kritiklos zu folgen. Das ist ärgerlich, da Betroffene gezwungen werden, den Instanzenzug zu durchlaufen, was nur schafft, wer über die finanziellen Mittel, den entsprechenden Mut und das notwendige Vertrauen zu seinem Verteidiger verfügt.
Natürlich ist auch die fahrlässige Trunkenheitsfahrt strafbar, die, und das zu Recht, bei Blutalkoholkonzentrationen in der Preislage wie im o.g. Fall regelmäßig eine Verurteilung mit empfindlicher Geldstrafe, Entzug der Fahrerlaubnis und langer Sperrfrist nach sich zieht. Dennoch ist Verteidigung gegen eine Anklage oder gar Verurteilung wegen einer Vorsatztat notwendig und sinnvoll. Vorsatz wird strafschärfend berücksichtigt, die Änderung des Schuldspruchs hat also eine Strafherabsetzung zur Folge. Außerdem zieht eine „nur“ fahrlässige Trunkenheitsfahrt anders als die vorsätzliche Trunkenheitsfahrt in der Regel keinen Verlust des Versicherungsschutz nach sich. Weiter ist es mit einer Verurteilung wegen einer „nur“ fahrlässigen Trunkenheitsfahrt regelmäßig einfacher, die Fahrerlaubnis nach Ablauf der Sperrfrist rasch wieder zu erlangen. Schließlich kann die Frage Vorsatz oder Fahrlässigkeit entscheidend für anschließende oder parallele arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen sein.