Mit dem System VKS 3.0 ohne konkreten Anlass gewonnene Abstandsmessergebnisse sind nicht gerichtsverwertbar.
Die aufgrund anlassloser Überwachung ohne gesetzliche Grundlage mit dem Verkehrskontrollsystem VKS 3.0 gewonnenen Messergebnisse unterliegen einem Beweisverwertungsverbot in Gerichtsverfahren gegen die Betroffenen – OLG, Oldenburg, Beschluss vom 27.11.2009,Az: Ss Bs 186/09.
Der Fall: Laut Bußgeldbescheid soll der Betroffene am 19.2.09 auf der BAB1 als Pkw-Führer bei einer Geschwindigkeit von 119 km/h den notwendigen Abstand von 59,5 m zum vorausfahrenden Kfz nicht eingehalten haben. Tatsächlich habe der Abstand nur 17 m und damit weniger als 3/10 des halben Tachowertes betragen. Nachgewiesen sei der Verstoß durch Videoaufzeichnungen mit dem System VKS 3.0. Bei Anwendung dieses Systems wird i.d.R. über einen bestimmten Zeitraum der gesamte ankommende Kfz-Verkehr auf einem BAB-Abschnitt mit 2 Kameras a) Messvideokamera sowie b) Identifizierungskamera gefilmt, und mittels geeichter Uhr und Bildzähler kodiert und anschließend gespeichert. Die so kodierten Videoaufzeichnungen werden im Nachgang mittels eines Computerprogramms ausgewertet und auf Abstands- und oder Geschwindigkeitsverstöße der gefilmten Fahrzeugführer hin ausgewertet. Festgestellte Verstöße werden zur Anzeige gebracht und, wie hier, mit Bußgeldbescheiden geahndet. Auf den Einspruch des Betroffenen die Filmaufnahmen seien illegal und verletzen sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung, sie dürften deshalb nicht als Beweismittel gegen ihn verwendet werden, hob das Amtsgericht den Bußgeldbescheid auf und sprach den Betroffenen aus Mangel an Beweisen, andere Beweismittel gab es nicht, frei. Die dagegen von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsbeschwerde zum Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg blieb ohne Erfolg.
Die Entscheidung: „… Die Aufzeichnung individueller Verkehrsvorgänge durch fest installierte Videoaufzeichnungsanlagen ist, jedenfalls wenn sie unter den vorliegend anzutreffenden Bedingungen erfolgt, mit einem Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung verbunden, wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seiner Entscheidung vom 11.8.2009 (vgl. zfs 2009, 589) ausgeführt hat. Die Aufzeichnung führt zur technischen Fixierung der beobachteten Vorgänge, die später zu Beweiszwecken abgerufen, aufbereitet und ausgewertet werden können, wobei eine Identifizierung von Fahrer und Kfz beabsichtigt und technisch möglich ist. …“ Solche Eingriffe sind nur zulässig, wenn hinreichende gesetzliche Erlaubnisse dies den Behörden zum Schutz vorrangiger Rechte gestatten. Eine solche gesetzliche Erlaubnis gibt es aber, so das OLG derzeit nicht. Die Messdaten wurden daher unerlaubt erhoben und unterliegen wegen ihrer illegalen Beschaffung einem Beweiserhebungsverbot. Aus dem Beweiserhebungsverbot folge zwar nicht zwangsläufig auch das Verbot die zwar illegal beschafften aber nun einmal vorhandenen Beweise auch im Prozess gegen den Täter zu verwenden. Ein Beweisverwertungsverbot bestehe nämlich nur, wenn das Gesetz dies ausdrücklich vorsehe oder wenn überwiegende Interessen eine solche Sanktionierung des Verfahrensverstoßes gebieten. Ein Fall überwiegender vorrangiger Interessen ist hier aber, so das OLG, gegeben. Die mit dem Einsatz des VKS 3.0 angewandte Meßmethode ist nämlich mit einem systematisch angelegten Eingriff in die Grundrechte einer Vielzahl von (vor allem unbescholtenen) Personen verbunden. Die relative Heimlichkeit der Dauervideoaufzeichnung bestätigt deren Schwere. Die Verkehrsverstöße, zu deren Ahndung das System eingesetzt werde, sind dem gegenüber in der Regel nur von untergeordneter Bedeutung. Abstandsunterschreitungen, zumal bei starker Verkehrsdichte und hohen Geschwindigkeiten sind gefahrträchtig und bedürfen zweifellos nachhaltiger Verfolgung. Dies rechtfertigt allerdings nicht, dass man sich hierzu illegaler Videoaufzeichnungen bedient, bei denen nebenbei auch die Daten einer Vielzahl unbescholtener Bürger zwangsläufig mit erhoben werden.
Anmerkung: Die Messmethode ist auch nach Ansicht des AG Coesfeld (vgl. zfs 2010, 109), betrifft Messverfahren VIDIT VKS 3.01, verfassungswidrig. Ebenso hält das AG Grimma, Entscheidung vom 22.10.2009, Az: 003 OWi 153 Js 34830/09, nicht nur Videomessungen sondern sämtliche Messungen mittels bildgebender Verfahren, auch Blitzermessungen, mit ähnlicher Begründung für derzeit generell verfassungswidrig. Auch das AG Eilenburg hält die Messungen generell für verfassungswidrig (Beschluss v. 16.03.2010 – 5 OWi 253 Js 1794/10). Der 3. Senat des OLG Düsseldorf (09.02.2010 – IV-3 RBs 8/10) hat durchlaufende Videoaufzeichnungen als Beweismittel ebenfalls für unzulässig erklärt. Dem gegenüber haben sowohl das OLG Bamberg (VAMA-Abstandsmessung), das OLG Koblenz und das OLG Düsseldorf 4. Senat, (Beschluss v. 15.03.2010 – IV-1 RBs 23/10) mit ähnlichen Messmethoden erhobene Beweise als legitim und gerichtsverwertbar angesehen. Gestützt wird dies im Wesentlichen jeweils auf die Feststellung, es handle sich gar nicht um anlasslose Verkehrsüberwachungsmaßnahmen, vielmehr würden nur Einzelfälle von den beobachtenden Polizeibeamten tatsächlich aufgezeichnet. Alle Autofahrer würden zwar heimlich gefilmt, es würden aber angeblich keine generellen Filmaufzeichnungen gefertigt. Die Beamten zeichnen von vorn herein nur jene Sequenzen auf, wo sie bereits mit bloßem Auge Gesetzesverletzungen der Kfz-Führer beobachtet hätten, Aha. Komisch, in Befragungen bestätigen mir Gutachter regelmäßig, dass die Grenze für die Beobachtung von Tiefenunterschieden mit freiem Auge bei etwa 100 m Entfernung liegt (vgl. Löhle, DAR 1983, 69). Wie erfahren müssen die Beamten sein, wenn Sie konkret anlassbezogen die Identifizierungskamera zu beobachteten Verstößen zuschalten, die Sie eigentlich gar nicht gesehen haben können?
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